EIN NEUJAHRSTAG

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Wien, Jänner 2002

Erster Jänner, Fest der Muttergottes. An diesem Morgen waren die Straßen ausgestorben, als ob die ganze Stadt wie erstarrt wäre. Auf den Gehsteigen und manchmal auch mitten auf der Straße lagen unzählige Scherbenhaufen zerbrochener Flaschen.

Die ganze Nacht lang hörte man die Kracher und Knallkörper und Lachen und Schreien. Und mitten in diesem ohrenbetäubenden Lärm, der fast die Mauern der Kirche zum Zittern bringt, haben wir zu Ehren der Muttergottes gesungen und gesungen. Vor einigen Tagen hat sie in der Stille und der Armut Jesus unseren Retter geboren.

Um Mitternacht erklang die Pummerin. Über der grauen Stadt ertönte der majestätische tiefe Klang der Glocke des Stephansdom, wie das langsame und sichere Schlagen eines ruhigen Herzens. In der schwarzen Nacht voll von Regen mahnt die große Glocke. Sie wacht. Mütterlich.

In der Morgendämmerung war der Festlärm verstummt. Der erste Morgen des Neuen Jahres erhob sich über der großen Stadt. Aber warum wirkte das schöne Wien nach dem Fest so verlassen, wie eine Geisterstadt. Aber wo waren die fröhlichen Gesichter und die munteren Herzen voll Lebensfreude? Warum waren die Leute nicht draußen, froh sich zu treffen, sich zu umarmen, um sich ein Neues Jahr zu wünschen?

Sie schliefen alle. Alles um uns herum war seltsam still, wie in Trauer versetzt.

Einige Sonnenstrahlen durchbrachen den dicht mit Schäfchenwolken bedeckten Himmel und hinterließenein helles Licht in der Straße, in der wir waren. Wir gingen nebeneinander, auch in eine schwere Stille getaucht. An diesem Morgen war die Kommunikation zwischen uns etwas gestört. Und man hatte genau uns zwei ausgesandt, als ob es absichtlich war, um gemeinsam unser Brot zu betteln an diesem Neujahrstag. Gemeinsam, wie Brüder! Man glaubt, dass die Brüder, weil sie Brüder sind, immer liebenswert sind. Das hängt davon ab für wen! So haben wir das Neue Jahr begonnen, indem wir untereinander mit Worten und Lächeln geizten.

Ein Auto nahm uns mit in einen Außenbezirk. Hier schienen auch noch alle in einen tiefen Schlaf versunken zu sein. Trotzdem öffnete sich eine Tür und eine türkischeFrau gab uns etwas von ihrem Essen. Sie legte ein Fladenbrot in unsere Hände, das sie sorgsam in Alufolie gewickelt hatte und dazu Käse und zwei kleine Päckchen Kekse, die noch warm waren.

Einen Stock tiefer vervollständigte eine zweite türkische Familie dieses Essen mit Brot, einer Fischdose und einem Liter Fruchtsaft, denn wie uns der Familienvater zurief, ist heute ein Festtag.

Draußen überraschte uns die Kälte. Eine eisige Kälte, die bis in die Knochen ging, ließ unsere Gliedmaßen bald gefühllos werden. Wir mussten uns nach einemgeschützten Ort umsehen.

Am gegenüberliegenden Gehsteig sah uns plötzlich ein Mann. Er überquerte die Straße und kam direkt auf uns zu.

Es war ein junger Mann um die Dreißig. Obwohl er etwas vernachlässigt aussah, ließ sein Aussehen darauf schließen, dass er eher nicht in diesem einfacheren Viertel wohnte. Er hielt uns mit einer Hand hartnäckig einen Geldschein hin und stammelte einige Worte. Sein Gesicht drückte große Angst aus.

Als er hörte,dass einer von uns den anderen bat, ihm zu übersetzen, was er gesagt hatte, wiederholte er sofort auf Französisch: „Nehmt das Geld und betet für mich. Betet für mich!“

Er flehte uns an. Wir schlugen ihm vor sofort für ihn zu beten. Vor einem Hauseingang erbettelten wir mit ihm und für ihn die Hilfe Gottes. Gott, komm uns zu Hilfe! Herr, eile uns zu helfen! Wir wussten, dass dieser Ruf, dieser Schrei, den wir gemeinsam ausstießen, zum Himmel ging, die Wolken durchdrang, gegen die Pforte schlug, bei Gott anklopfte.

Hier sind wir, Herr, mit leeren Händen, von der Kälte durchfroren, wir haben nichts. Ja, wir sind wirklich Bettler, Arme! Wie sehr brauchen wir dich.

„Die Leute sind böse“,murmelte der junge Mann in seinen Bart hinein, „es gibt zu viel Bosheit, zu viel Ungerechtigkeit.“

Hatte er das Gebet gehört? Er schien vollkommen verschlungen zu sein von seinen dunklen Gedanken.

Also schlug einer von uns beiden ihm vor: „Komm mit. Wir haben ein bisschenwas zu essen bekommen und wenn du willst, teilen wir es mit dir. Wir müssen nur einen Ort zum Essen finden.“

Hans, so hieß er, ließ sich nicht zweimal bitten und zu unserem großen Erstaunen, nahm er alles in die Hand. Vor unseren verblüfften Augen versuchte er mit Gewalt die Tür, vor der wir standen, zu öffnen. Nachdem er merkte, dass er es nicht schaffte, fing er an überall anzuläuten und verlangte hektisch, dass man uns öffnen sollte. Da sah einer von uns weiter weg die Tür einen baufälligen Wohnhauses, die einen Spalt offen stand. Uff!

Wir „stürzten“uns in den Eingang. Der Ort war düster. Die Wände triefen von Feuchtigkeit und der Putz löste sich in Fetzen ab. Gratiszeitungen und Werbematerial lagen am Boden.

„Ich war verlobt“,stieß Hans plötzlich aus, „ich war verlobt, und wir wollten heiraten. Es war sehr wichtig für mich. Aber die Familie meiner Verlobten hatte sich der Heirat entgegengestellt.“ Der Satz blieb in seinem Hals stecken. Und plötzlich brach seine ganze Revolte aus ihm heraus. „Die Welt ist schlecht. Soviel Schreckliches, soviel Katastrophen. Es gibt so viel Schreckliches! Überall nur Elend, Krieg, Unschuldige, die umgebracht werden. Man sieht nur das im Fernsehen. Es ist furchtbar. Es muss doch eine Lösung geben!“

Er redete immer schneller und seine Aussagen wurden immer unvernünftiger. „Das muss aufhören. Man sollte die Bösen ausrotten, dass es keinen mehr gibt. Ich würde alles tun, um Kriegsmaschinen zu bauen, um die weltbedrohenden Mächte zu zerstören. Die Einwohner verschonen, aber das Kriegsmaterial zerstören, es kampfunfähig machen. Ich werde Maschinen bauen, um das ganze Kriegsmaterial zu vernichten. Die das ganze Böse zerstören!“, schloss er mit bebenderStimme.
„Mein Freund, “sagte ein Kleiner Bruder mit sanfter Stimme, „mein Freund, wir dürfen uns nicht vom Bösen terrorisieren lassen. Ja, wir wollen das Böse besiegen, aber nicht in dem wir die Waffen der Welt benutzen. Man kann Feuer nicht mit Feuer löschen, noch Hass durch Hass. Nur das Gute, die Güte, die Liebe können siegen.“
Die Güte, die Liebe, die Worte widerhallten in dem dunklen seelenlosen Eingang, und mit ihnen kam der Friede zurück „Vielleicht sollten wir einen würdigeren Platz zum Essen suchen“,schlug der zweite Kleine Bruder vor, „denn heute ist ein Festtag. Vielleicht finden wir einen Tisch.“
Am anderen Ende des Eingangs sahen wir einen Hof, ein kleiner runder gepflasterter Hof von großen Häusern umgeben, und welch eine Überraschung: in einem Eck des Hofes sahen wir zwei Holzböcke mit einem Brett darauf. Es sah aus wie ein … Tisch! Aber natürlich, er wartete seit jeher auf uns. Wie fürsorglich ist deine Hand! Singe meine Seele, singe dem Herrn für all das Gute, das er uns tut.

„Schaut, unser Tisch!“, ruft der Kleine Bruder aus.
Hans lächelt. Sein Gesicht hellt sich auf.
Wir deckten alle drei zusammenden Tisch, den schönsten Festtisch, den man je gesehen hatte! Das Fladenbrot in der Mitte, anstatt Spitzenuntersetzer unsere zwei blauen Servietten, die wir immer in unseren Rucksäcken haben, und darauf den Käse und den Dosenfisch, sowie die türkischen Mehlspeisen, ganz gold und glänzend, die die Frau am Morgen noch gemacht hatte. Nicht zu vergessen den Orangensaft, den uns der Familienvater an diesem Festtag großzügig geschenkt hat.

Wir sangen, um diesen geschenkten Tisch zu segnen.
Wir mussten ein bisschen von einem Bein aufs andere hüpfen, um unsere Füße aufzuwärmen, aber unsere Herzen brannten. Sie quollen über von einer warmen und sanften Freude. In der Stille des kleinen Hofes verkosteten wir voll Begeisterung die göttliche Güte, die sich uns so lebhaft offenbart hatte, durch alles, was in dieser letzten gesegneten Stunde passiert war.

Wir waren um dieses festlich hergerichtete alte Brett wie Könige, die Jünger eines Reiches, das unsichtbar auf Erden ist.

Mit strahlendem Gesicht wandte sich ein Kleiner Bruder an Hans.

„Siehst du, “erklärte er mit einem schelmischen Lächeln und Schalk in den Augen, „wir sind hier nicht im Hilton, sondern vielmehr auf „der Universität der Armut“. Und du auch irgendwie. Es ist nicht leicht, aber der Meister, der uns lehrt, ist Jesus. Wir müssen lernen, uns an allem zu erfreuen, was uns der Herr ganz umsonst aus Liebe schenkt, auch wenn es uns noch so klein erscheint. Wenn wir nicht aufpassen, können unsere Augen sehr schnell nicht mehr sehen. In der Armut und im Elend, die wir manchmal sehr stark in uns spüren, im Pein unserer Seele, das manchmal sehr schmerzt, dort ist ein schöner Schatz versteckt, wie ein Geheimnis des Glückes –die Freundschaft Jesu Christi. Schau dir diesen Tisch an und erkenne, wie sehr er uns liebt, und was er gerade hier für uns drei gemacht hat. Er nennt uns Seine Freunde.“

Am Rückweg begleitete uns Hans ein Stück. Wir schwiegen und waren glücklich, ließen noch einmal alles an uns vorüberziehen, was wir erlebt hatten. Wie die Güte der zwei türkischen Familien für uns gesorgt hatte, wie der Herr es fügte, dass wir uns trafen, und wie er aus uns, um einen Festtisch herum, in der Stille und der Armut eines Innenhofes, Freunde gemacht hatte.

Hans blieb plötzlich stehen und sah jedem von uns tief in die Augen. Er sagte: „Ich muss euch etwas gestehen. Als ich euch getroffen habe, wollte ich gerade etwas sehr Schlechtes machen. Ich wollte auf den zugefrorenen See gehen, den jeder kennt, einfach darauf gehen und dann…“

Er brauchte nicht weiter zu sprechen. „Ich bin glücklich, dass ich euch zwei getroffen habe“, fügte er hinzu, schüttelte uns beiden die Hände und ging weg.

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