Der Brief

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Polen, Dezember 2003

Drei Kleine Brüder von uns waren in Polen und bettelten in einer Stadt im Westen des weiten Landes an den Türen unser Brot. Keiner von uns sprach polnisch. Wir schafften es kaum, die Wörter auszusprechen, um etwas zu essen zu erbitten. Wir kamen von Wien nach Wrocław, wo die Kleinen Schwestern der Fraternität von Częstochowauns uns erwarteten. Freunde hatten uns eingeladen, einige Tage in eine Pfarre der Stadt auf Mission zu kommen.

Ich erinnere mich, dass ich mich an jenem Tag innerlich so matt wie noch nie fühlte. Wir liefen durch die Straßen. Es war schlechtes Wetter, kalt, und es schien, als ob die Stadt in Traurigkeit versunken war. Eine Tür öffnete sich und wir deuteten ein unbeholfenes fast beschämtes Lächeln an. Während wir einige Worte sagten und dazu tollpatschige Gesten machten, um besser zu erklären, was wir wollten, sank unser Blick und wir bekamen große Lust wegzulaufen. Aber ist der Herr, unser Gott, nicht der Gott, der mit armen Schluckern Wunder tut? An jenem Tag nahm uns eine Frau bei sich auf, wie wenn uns der Himmel geschickt hätte!

Einige Zeit später haben wir einen Brief bekommen, den sie ihrem Pfarrer geschrieben hatte. Sie erzählte, wie dieser „Besuch“ für sie ein Lichtstrahl in ihrem trübseligen eintönigen Alltag war.

Durch unsere Begegnung, die nur ein paar Stunden dauerte, in denen wir uns dank der Bibel oder durch Zeichen unterhielten, das Familienalbum anschauten, beteten und sangen, hatte sie die Stimme zu ihrem Herzen sprechen gehört. Und die Stimme, wie ein sanftes leises Säuseln, hatte in ihr die Flamme der Hoffnung wieder entfacht, die dabei war auszugehen. Gott war nahe, Gott war da. Gott wachte an der Tür des Herzens, wie nur die Bettelnde Liebe wachen kann. Seine Stimme flüsterte: „Ich schenke dir Meine Freude, und niemand wird sie dir nehmen.1

Wrocław, 11.Dezember2003

Lieber Herr Pfarrer!

Es waren drei Mönche oder Kleine Brüder vom Lamm.

Draußen ist alles grau und traurig. In meinem Herzen auch. Ich bete innerlich, dass ich nicht depressiv werde. Ich bin 52 Jahre alt und habe gerade meine Arbeit verloren. Alle Bemühungen, wieder Arbeit zu finden, sind umsonst.„Leider müssen wir Ihnen absagen.“ Immer wieder dieselbe Antwort. Es ist aussichtslos. Und die Feiertage? Mir ist überhaupt nicht nach Feiern zumute. Im tiefsten Innern bin ich verzweifelt und mein Gebet lässt jeden Tag mehr nach.

Ich schaue aus dem Fenster. Ich sehe drei Personen, die blau gekleidet sind. Sie überqueren den Hof. Wo sie wohl hingehen? Zu meinem Erstaunen sehe ich, dass sie… Wie? Sie kommen geradewegs auf meine Tür zu. Ich wohne im Erdgeschoß und die Brüder bleiben vor meinem Fenster stehen. Sie lächeln mir zu. Heißt das, dass sie zu mir kommen? Ausgerechnet zu mir?

– Coś do jedzenia ? Etwas zu essen? Brot und Wasser?“, fragen sie inschlechtem Polnisch.

Ich lade sie ein, hereinzukommen. Obwohl ich ihnen nur ein bisschen Brot und ein paar Nudeln anbieten kann, verspüre ich in meinem Herzen eine unbeschreibliche Freude über diesen Besuch. Sie kommen aus Frankreich, Italien und der Schweiz. Sie sprechen deutsch. Ich könnte mich nicht mit ihnen unterhalten, aber zum Glück ist eine Freundin meiner Tochter da, die ein bisschen Deutsch spricht. Sie hilft uns, damit wir uns verständigen können und teilt mit uns, was sie gerade gekauft hatte: etwas Brot, Wurst und Obst. Ich bin überrascht und bewegt über ihre Großzügigkeit. Ich weiß, dass sie auch keine Arbeit hat, wie meine Tochter und ich.

Wir haben mit den Brüdern ein bisschen auf Deutsch, Englisch und durch Zeichen gesprochen. Sie sind per Auto-Stopp aus Wien gekommen. Einer von ihnen hat auf Polnisch geschrieben: „Kleine Brüder vom Lamm“. Sie sind auf Besuch in unserer Pfarre und gehen in die Häuser. Sie haben jeder von uns ein Wort aus der Bibel geschenkt. Ich habe die Seligpreisungen im Lukasevangelium bekommen: „Selig die Armen, denn ihnen gehört das Himmelreich“ und „sorgt euch nicht … seht euch die Vögel an … Ihr seid viel mehr wert als die Vögel2“. Ich habe diese Texte oft in der Kirche gehört, aber diesmal waren sie direkt an mich gerichtet. Die Worte Jesu. Ist das nicht wunderschön?

Wir haben uns herzlich voneinander verabschiedet. Bevor sie gegangen sind, haben sie noch etwas gesungen. Es war wirklich wunderschön!

Die Brüder sind gegangen. Draußen war derselbe graue Tag. Aber in meinem Herzen ist die Freude geblieben. Ich verstehe, dass man seinen Sorgen und Problemen nicht erlauben darf, die Stimme Gottes in uns, das, was Gott uns sagen will, zu ersticken. Er ist in jedem Moment unseres Lebens anwesend. Vergessen wir das nie, und halten wir unsere Augen und Ohren offen.

Ewa

Drei Jahre später sind wir nach Wrocław zurückgekommen. Die Kapuzinerbrüder hatten uns eingeladen, Einkehrtage für Studenten zu halten. Am letzten Abend, kurz vor der Abreise – das Auto, das uns mitnehmen wollte, wartete schon auf uns – klopft jemand einem Kleinen Bruder von hinten auf die Schulter.

„Kennen Sie mich? Ich bin Ewa! Ich wollte euch nicht wegfahren lassen, ohne euch etwas zu sagen. Kurz nach unserer Begegnung – dieser Tag, an dem ihr zu mir gekommen seid – habe ich eine Arbeit gefunden, und ich habe sie noch immer!“

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1 . vgl. Joh 16, 22.
2. Mt 6, 26.

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